"Vom Bettelstab zum Blindenstock" 100 Jahre Blindenselbsthilfe in Bremen - Ein historischer Rückblick

Wie alles begann...

Als einer der ersten in Deutschland wurde der heutige Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen e. V. als Verein der Blinden Bremen am 10. Februar 1908 gegründet. Durch ihren Zusammenschluss wollten die blinden Menschen in Bremen Arbeitsmöglichkeiten erschließenund die Teilnahme am kulturellen Leben der Stadt erreichen. Der seit 1896 bestehende Verein für
Blinde, der eine Blindenwerkstatt unterhielt, stand der neuen Organisation als Pate zur Seite. Für blinde Menschen gab es damals nur wenige Arbeitsplätze in der Industrie, die auf Eigeninitiative eingerichtet wurden.

Im Jahre 1912 wurde unter Mitwirkung Bremens in Berlin der Reichsdeutsche Blindenverband (heute Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.) gegründet.

In den folgenden Jahren machte sich der Verein die Eingliederung junger im Krieg erblindeter Menschen zur Hauptaufgabe.

Vereinsleben in den 30er Jahren

Mit der Eintragung ins Vereinsregister beim Bremer Amtsgericht unter dem langjährigen Vorsitz von Theodor Oelrichs im Jahre 1932 wurden  alle vorangegangenen Vereinssatzungen zusammengefasst. Zweck und Ziel des Vereins war demnach „die Hebung und Förderung der geistigen und materiellen Interessen der Blinden.“ (§2 der Satzung vom 26.08.1932) „Ordentliche Mitglieder des Vereins können alle im Vereinsgebiet ansässigen Blinden werden, die im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind, und das 18. Lebensjahr vollendet haben. Als Ordentliche Mitglieder können nur solche Personen aufgenommen werden, die völlig oder praktisch blind sind, d.h. die nicht mehr als 1/25 der gewöhnlichen Sehschärfe besitzen. Geht die Sehschärfe des Anwärters jedoch nur wenig über diese Grenze hinaus, so muss er trotzdem als praktisch blind anerkannt werden, wenn sein Gesichtsfeld erheblich eingeschränkt ist, oder wenn er infolge hohen Alters den ihm verbliebenen Sehrest nicht mehr völlig auszunutzen vermag. Bei der Aufnahme ist vom Anwärter diesbezüglich ein Attest vom Vertrauensarzt des Vereins vorzulegen.“ (§4) Es konnten auch Fördermitglieder aufgenommen werden, die entweder pro Jahr zwei Mark zahlten oder einen einmaligen Beitrag von 50 Mark leisteten. Ordentliche Mitglieder zahlten 50 Pfennig im Monat. Der Vorstand bestand aus 1. und 2. Vorsitzendem, dem Kassierer, einem Schriftführer und 3 Beisitzern. Seine Amtszeit war zeitlich nicht begrenzt. Er war an Beschlüsse der jährlich im Januar stattfindenden Generalversammlung sowie der monatlich einberufenen Mitgliederversammlung gebunden. Wollte jemand dem Verein beitreten, musste er dreimal an einer Mitgliederversammlung teilnehmen, die dann die Aufnahme beschloss. Blieb ein Mitglied der monatlichen Zusammenkunft ohne zwingenden Grund fern, musste er ein „Extrabeitrag“ von 50 Pfennig entrichten. Verständlich, wenn man bedenkt, dass der Verein zu jener Zeit nur von Mitgliedsbeiträgen und mildtätigen Gaben lebte. Im Januar 1933 hatte der Verein der Blinden Bremen 56 Mitglieder. Die Versammlungen fanden im Vereinslokal Café Wellmann, Vor dem Steintor, statt.

Vereinsumbenennung in der NS-Zeit

Im August 1933 wurde Hans Beyer 1. Vorsitzender des Vereins, der sich laut neuer Satzung, die dem Verein 1933 vom Führer des Reichsdeutschen Blindenverbandes zwecks Vereinheitlichung im Aufbau sämtlicher Blindenorganisationen im Reiche zugestellt  worden war, Vereinsführer nennen musste. Der „Führerrat“ bestand aus fünf Mitgliedern. In einer außerordentlichen Versammlung am 4. Dezember 1933 wurde diese Satzung angenommen. Sie verfügte die Umbenennung des Vereins in „Blindenverein im Staate Bremen e. V.“ und sah vor, dass der Vereinsführer und sein Stellvertreter durch den Reichsverbandsführer ernannt wurden. „Zweck des Vereins ist die Förderung der Blindenbildung, der Berufs- und Arbeitsfürsorge und aller Wohlfahrtsbestrebungen für Blinde. Der Verein ist berechtigt zur Beschaffung der erforderlichen Mittel, Geschäfte zu betreiben.“ (§3 der Satzung von 1933). Nach  §6 konnte der Vereinsführer ein Mitglied ausschließen, wenn es den nationalsozialistischen Grundsätzen oder den Zwecken und Zielen des Vereins zuwider handelte.

Im Jahre 1935 übernahm wieder Theodor Oelrichs die Vereinsgeschäfte. Eine neue Satzung sah 1937 einen Vereinsleiter vor. Zweck des Vereins war nun „der Zusammenschluss aller im Vereinsgebiet lebenden deutschen blinden Volksgenossen zur ausschließlichen und unmittelbaren Förderung und Unterstützung der bedürftigen Blinden. Der Erreichung dieses Zieles dienen: a) die seelische Betreuung der Blinden b) die geistige Förderung und Ausrichtung im Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung c) die körperliche Ertüchtigung der Blinden d) die Berufsfürsorge, Umschulung und Arbeitsbeschaffung für Blinde e) Schaffung und Erhaltung zweckdienlicher Einrichtungen sowie die Förderung aller sonstigen Wohlfahrtsbestrebungen für Blinde“ (§2 der Satzung vom 9. Mai 1939). Seither fand einmal im Jahr eine Mitgliederversammlung statt.

Das Sammelrecht ermöglichte das Entgegennehmen von Spenden und das Antreten von Erbschaften, wodurch die Voraussetzung für den späteren materiellen Aufschwung des Vereins gegeben war. Doch vorerst galt es, die härtesten Folgen der Kriegs- und Nachkriegszeit zu mildern. In diesem Zusammenhang muss der Name Heinz Leidenberg erwähnt werden. Er löste 1942 Theodor Oelrichs als Vereinsleiter ab. Den spärlichen Informationen aus dieser Zeit ist zu entnehmen, dass er blinde Flüchtlinge aus dem Osten nach Bremen in Arbeit vermittelte.

Neubeginn in der Nachkriegszeit

Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft  zwangen auch innere Spannungen den Verein zu einem Neubeginn. Nachdem Heinz Leidenberg wegen Verleumdungen von seinem Amt als Vereinsleiter abberufen worden war, bat er Pastor Heinrich Schultheis um Vermittlung. Diese führte zu dem Ergebnis, dass er zusammen mit Heinz Leidenberg den Aufbau der Blindenselbsthilfe in Bremen erfolgreich anpacken konnte. Heinz Leidenbergs Erleichterung und Willenskraft kommen in dem folgenden Zitat zum Ausdruck:

„Ich danke Ihnen, lieber Herr Schultheis. Sie waren ein guter Steuermann auf den Wegen der Vereinskrise. Doch nun werde ich Ihr Lotse sein und Sie überall, wo Ihnen diese Materie noch nicht so vertraut ist, mit meinen Erfahrungen durchlotsen. Und es wäre gelacht, wenn wir nicht zum Ziele kämen.“ (Rede bei der Generalversammlung am 27. April 1946)

Eine neue Satzung legte fest: „Der Blindenverein im Staate Bremen e. V. verfolgt den Zweck, die geistigen und wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder zu fördern. Das Prinzip der Selbsthilfe soll vorherrschend sein. Der Verein ist politisch und religiös neutral.“ (§1 der Satzung vom 27. April 1946)

Der Vorstand bestand aus sechs Mitgliedern, die ihre Ämter nach der Wahl durch die Generalversammlung unter sich aufteilten. Jedes Jahr schieden die beiden nach Maßgabe der Zugehörigkeit zum Vorstand ältesten Mitglieder aus. Zur Leitung der eigentlichen Arbeit und Blindenbetreuung wurde ein Blindenpfleger bestellt, der sein Amt ehrenamtlich ausübte. Der Blindenpfleger wurde vom Vorstand bestellt und hatte dort Sitz und Stimme. Die Erledigung rechtsverbindlicher Geschäfte bedurfte einer übereinstimmenden Erklärung sowohl des 1. Vorsitzenden als auch des Blindenpflegers.

Ab 1946 arbeiteten also Pastor Heinrich Schultheis als 1. Vorsitzender und Heinz Leidenberg, der als junger Mann erblindet war und beim Jugendamt arbeitete, als sein Stellvertreter und Blindenpfleger eng zusammen. Drei Schuhbesohlungsscheine pro Jahr (1948) und die Verteilung von Schokolade, Zigaretten und Tabak bei der Generalversammlung (1949) sind aktenkundig. Ein Schwerpunkt bildete die Vermittlung blinder Arbeitsloser an verschiedene Firmen. Viele blinde Bremer arbeiteten bei den Borgward-Werken, in der Blinden- und Versehrtenwerkstatt Pfeifer & Gerdes sowie in der Blindenwerkstatt am Sielwall.

Der weiße Stock tritt an die Seite der Armbinde

In den 50er Jahren machten blinde Bremer Bürger erste gute Erfahrungen mit einem weißen Handstock.

Im Weser-Kurier wird berichtet, dass für die 300 in Bremen lebenden Blinden weiße Handstöcke eingetroffen seien, die in der Geschäftsstelle des Blindenvereins, Hoppenbank 6, zur kostenlosen Verteilung bereitstünden. „Alle Kraftfahrer und anderen Verkehrsteilnehmer sollten wissen, diese weißen Handstöcke werden in Zukunft von den Blinden als Verkehrsschutzzeichen getragen. Sie sollen darauf hinweisen, dass sich hier Menschen in unserer Gemeinschaft bewegen, die einer besonderen Rücksichtnahme bedürfen.“ (WK vom 27. November 1958)

Im Jahre 1958 wurde mithilfe der Blindenselbsthilfe und den Kulturbehörden von vier norddeutschen Bundesländern die norddeutsche Blindenhörbücherei in Hamburg gegründet. Dies ermöglichte blinden und sehbehinderten Menschen einen Zugang zur Literatur, ohne auf einen Vorleser angewiesen zu sein.

In einer neuen Vereinssatzung von 1958 wird festgeschrieben, dass auch alle zivilblinden Nichtmitglieder vom Vereinspfleger mitbetreut werden. „Hochgradig Schwachsichtige“, bei denen eine Erblindung nach Aussage des Facharztes zu erwarten war, wurden beraten und ggf. für einen geeigneten Beruf vorbereitet.

Im Jahre 1959 übernahm der Kaufmann Heinrich Schnaars den Vereinsvorsitz. Heinz Leidenberg behielt seine alte Position inne. 1960 wurde die Wahlperiode des Vorstandes auf drei Jahre festgelegt.

Anfänge des Blindengeldes

Mitte der 60er Jahre erhielt der Blindenverein im Staate Bremen seine Gemeinnützigkeit. Heinz Leidenberg wurde 1965 wegen seines langjährigen Einsatzes das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Die Eröffnung des Blindenwohnheims „Haus der Blinden“, Am Hahnenkamp 6c in Osterholz-Tenever am 1. August 1968 stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Blindenselbsthilfe in Bremen dar. Die Geschäftsstelle des Blindenvereins im Staate Bremen war fortan Am Hahnenkamp 6c angesiedelt. Heute ist das Haus eine Senioren- und Pflegeeinrichtung in Trägerschaft des Selbsthilfevereins.

Bereits in den 60er Jahren kämpfte Heinz Leidenberg  gemeinsam mit den Vorsitzenden Heinrich Schnaars und Walter Hellmers um die Einführung einer Geldleistung für blinde Menschen. 1972 wurde das langjährige Engagement aller Beteiligten endlich unter dem Vorsitz des Verwaltungssekretärs Rudolf Weitzel belohnt. Das Landespflegegeldgesetz trat in Bremen in Kraft, wonach blinden und schwerbehinderten Bürgern eine einkommens- und vermögensunabhängige Geldleistung zum Ausgleich der behinderungsbedingten Mehraufwendungen gezahlt wurde. Es bedeutete einen großen Schritt in Richtung Selbstbestimmung blinder Menschen in Bremen. Die Ära des Blindenpflegers ging zu Ende. Der nunmehr aus fünf Personen bestehende Vorstand konnte laut neuer Satzung bis zu zwei sehende Personen, die dem Blindenwesen sehr nahe standen, zur Unterstützung berufen. Heinz Leidenberg verstarb am 29. Februar 1972.

Der Verein entwickelt sich weiter

Seit 1976 ist das Kalenderjahr Geschäftsjahr des Vereins. Im selben Jahr wurde der Blindenverein im Staate Bremen e. V. Mitglied des Deutschen paritätischen Wohlfahrtsverbandes - Landesverband Bremen e. V.

In den 70er Jahren machte sich der Verein die Betreuung von Neuerblindeten und Eltern blinder Kinder zur Aufgabe. 1979 wurde die Blinden- und Sehbehindertenberatungsstelle in der Contrescarpe 3 eingerichtet. Sie steht seitdem allen blinden und sehbehinderten Menschen sowie deren Angehörigen ohne Rücksicht auf eine Vereinsmitgliedschaft offen. Anfangs beriet sie etwa 20 % der Vereinsmitglieder.

Seit 1981 wurden 1. und 2. Vorsitzende beziehungsweise 1. und 2. Vorsitzender sowie drei Beisitzerinnen und Beisitzer mit einfacher Mehrheit von allen stimmberechtigten Mitgliedern in der jährlich stattfindenden Generalversammlung in den Vorstand gewählt. Im selben Jahr konnten die „Lokalnachrichten für Blinde“ täglich unter der Telefonnummer 11 55 abgerufen werden. Dieser Service wurde 1999 eingestellt, da der große zeitliche Aufwand nicht mehr mit dem gestiegenen Arbeitsaufkommen vereinbar war.

Anfang der 80er Jahre kaufte der Verein mit Geldern aus einer Erbschaft ein Haus an der Duckwitzstraße 23. Darin befanden sich einige Mietwohnungen und  eine Gaststätte, deren Klubräume sich die Vereinsmitglieder vorbehielten. Zahlreiche Aktivitäten wie Treffen von Senioren, Schach- und Skatspielern und Fachgruppen waren geplant. Auch eine Gesangsgruppe, die schon einmal in den 50er Jahren existiert hatte, sollte gegründet werden. Ende der 80er Jahre musste das Haus unter dem Vorsitz der Verwaltungsangestellten Renate Scheller-Stöber jedoch aufgrund zu großer Belastungen wieder verkauft werden.

Weiter auf dem Weg zur Selbstbestimmung

In den 80er Jahren, in denen die Blindenselbsthilfe durch die Entwicklung elektronischer Hilfsmittel, das Mobilitätstraining sowie den Unterricht in lebenspraktischen Fertigkeiten große Fortschritte machte, engagierten sich auch Karl-Heinz Ahrens und Udo Busch als Vorsitzende im Verein.

Mitte 1983 konnte der Blindenverein im Staate Bremen mithilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und dem Senator für Arbeit Helga Sturm-Henschel im  Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einstellen. Das neue Angebot nannte sich „Rehabilitationstraining“ und hatte die Vermittlung und Einübung praktischer Fertigkeiten für den häuslichen Alltag zum Ziel. Den Umgang mit dem weißen Langstock vermittelten Mobilitätstrainer, die sich als „Prisma - Verein zur Förderung der selbständigen Lebensführung Sehgeschädigter“ zusammengeschlossen hatten. So wurde in Bremen ein weiterer Grundstein für ein selbstbestimmtes Leben blinder Menschen innerhalb und außerhalb des Hauses gelegt.

Am 1. Oktober 1986 nahm Edith Hogrefe ihre Tätigkeit als Sekretärin in der neuen Geschäftsstelle des Vereins an der Contrescarpe 3 auf. Es folgten Hilma Olsowski, Renate Schroer und bis heute Martina Nutsch als hauptamtliche Verwaltungsfachkraft.

Ab 1987 wurde der Verein fast ein Jahrzehnt lang von Frauen geleitet: Renate Scheller-Stöber und Edna Bäkefeld. In die Amtszeit von Renate Scheller-Stöber fiel die Umbenennung des Vereins in „Blindenverein Bremen e.V.“. „Ausschließlicher Zweck des Vereins ist der Zusammenschluss der in Bremen lebenden Blinden und Sehbehinderten. Die Aufgaben des Vereins sind insbesondere a) Beratung und Betreuung der Blinden und Sehbehinderten und von Blindheit Bedrohten sowie deren Angehörige b) Die Wahrung ihrer sozialen, beruflichen, kulturellen und rechtlichen Interessen c) Kooperation mit allen Einrichtungen des Blindenwesens und solchen Institutionen, die die Interessen Blinder und Sehbehinderter unterstützen.“ (§ 2 der Satzung vom 14.10.1992) Als ordentliche Mitlieder konnten blinde und sehbehinderte Personen aufgenommen werden, deren Sehvermögen höchstens 1/10 betrug. In dieser Satzung wurde zudem festgelegt, dass die Jahreshauptversammlung im ersten Halbjahr des Kalenderjahres einzuberufen ist.

Im Jahre 1994 wurde der Rehabilitationsdienst Prisma, der seit den 80er Jahren als eigenständiger Verein existiert hatte, in den Selbsthilfeverein eingegliedert. Die selbst blinde Friederike Kaivers hatte schon seit 1986 beim Verein Prisma als Rehabilitationslehrerin gearbeitet. Zusammen mit ihrer sehenden Assistentin besucht sie bis heute blinde und sehbehinderte Menschen, unterrichtet sie in „lebenspraktischen Fähigkeiten“ und unterstützt sie bei der Bewältigung des Alltags.

Der Kampf ums Blindengeld

Mit der Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 90er Jahre kamen auf den Selbsthilfeverein große politische Herausforderungen zu. Das Landespflegegeldgesetz, das nun überholt schien, sollte gestrichen und in eine Leistung nach dem Bundessozialhilfegesetz umgewandelt werden. Dies ließ befürchten, dass durch die Offenlegung der Vermögensverhältnisse eine Schranke errichtet wird, so dass viele Anspruchsberechtigte das Landespflegegeld erst gar nicht beantragen würden. Zudem verstieß die Abschaffung der Leistung in Bremen gegen das Grundrecht auf „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, denn in allen anderen Bundesländern wurde blinden Menschen eine einkommens- und vermögensunabhängige Leistung gezahlt.

Seit dem 9. Juli 1996 führt der Verein den Namen „Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen e.V.“. Die Zugehörigkeit auch der sehbehinderten Menschen wird damit zum Ausdruck gebracht. In diesem Jahr wurde Karl-Heinz Weiser zum 1. Vorsitzenden gewählt. Laut Satzung vom 29. Mai 1999 können blinde und sehbehinderte Personen mit einem Sehvermögen von 3/10 in den Verein aufgenommen werden. Die Amtszeit des Vorstandes wurde auf vier Jahre verlängert.

Mit Hinweis auf knapper werdende Geldmittel versuchte die Bremer Sozialbehörde jedes Jahr das Landespflegegeld, das für eine selbstbestimmte Lebensführung blinder Menschen so dringend benötigt wird, zu kippen. Karl-Heinz Weiser verbrachte sieben seiner elf Amtsjahre als 1. Vorsitzender mit dem massiven Kampf um den Erhalt des Nachteilsausgleichs. Die Bremer Juristen Uwe Boysen und Dr. Hans-Joachim Steinbrück, zahlreiche Vereinsmitglieder, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes - insbesondere der Fachmann in „Blindengeldfragen“ Herbert Demmel aus München -  stärkten ihm dabei den Rücken. Im Juni 2001 gipfelte die Auseinandersetzung in einer Demonstration in Bremen, an der sich über 4000 Menschen aus ganz Deutschland beteiligten.  - Für Viele war es die erste Demonstration ihres Lebens. Das Landespflegegeld konnte schließlich um den Preis einer Kürzung erhalten werden. Danach konnte die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe zwei Jahre lang verschnaufen, bis das Landespflegegeld für blinde Menschen 2003 erneut auf der Streichliste stand. Nach harten Diskussionen blieb die Geldleistung diesmal jedoch unberührt.

So sieht es heute aus

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen zählt etwa 200 Mitglieder. Jährlich findet eine Kohlfahrt, ein Herbstfest im „Haus der Blinden“ und eine Weihnachtsfeier statt. Darüber hinaus gibt es folgende Aktivitäten:

  • Seit 1973 wird der Kegelsport aktiv ausgeübt
  • Einmal im Monat trifft sich seit 1995 die Frauengruppe zu gemeinsamen Ausflügen oder zum klönen
  • Gemeinsam mit den Mitgliedern aus Niedersachsen existieren Fachgruppen für Büroberufe und Masseure sowie eine Führhundhaltergruppe
  • Der Verkehrsausschuss setzt sich seit 1990 für Erleichterungen im Straßenverkehr ein, wie z. B. akustische Ampelanlagen und Leitstreifen
  • In den letzten Jahren gab es manch spannende Unternehmung wie Segelfliegen, Auto fahren oder Straßenbahn lenken sowie Ausflugsfahrten.

Die Computertechnik erlaubt auch blinden und sehbehinderten Menschen einen unkomplizierten Informationsaustausch. So hat der Verein eine Homepage unter www.bsvb.org. kurzfristige Mitteilungen können seit 2002 unter der jetzt aktuellen Telefonnummer 0421 / 24 40 16 - 15 abgerufen werden. Alle Vereinsmitglieder erhalten viermal im Jahr ein Rundschreiben mit interessanten Informationen.

Im Jubiläumsjahr 2008 ist die Geschäftsstelle sowie die Blinden- und Sehbehindertenberatungsstelle aus der Contrescarpe 3 in die Schwachhauser Heerstraße 266 umgezogen. Da das Büro des mobilen Rehabilitationsdienstes Prisma bereits vor einigen Jahren hierher verlegt worden war,  sind nun alle Einrichtungen des Vereins - mit Ausnahme des "Hauses der Blinden" - unter einem Dach zusammengefasst. Auch erfüllen sich die Vereinsmitglieder damit einen langgehegten Wunsch: Einen eigenen Gruppenraum.

Der Vorstand des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bremen wünscht sich ein aktives Vereinsleben mit vielen Impulsen auch für die Gruppe der sehbehinderten Menschen.

Martina Reicksmann